Die Immobilienbranche befindet sich inmitten eines tiefgreifenden Wandels. Einst als einer der traditionellsten Sektoren bekannt, sieht sie sich heute mit einem doppelten Veränderungsdruck konfrontiert: Zum einen steigen die Anforderungen der Kundinnen und Kunden in Bezug auf Servicequalität, Transparenz und Reaktionsgeschwindigkeit. Zum anderen treiben technologische Fortschritte die Branche zunehmend zur digitalen Transformation.
Von der Mietverwaltung über die Instandhaltung von Immobilien bis hin zur Kommunikation mit Mieterinnen, Mietern und Eigentümer:innen – Künstliche Intelligenz verspricht, Prozesse nicht nur zu automatisieren und vorherzusagen, sondern in gewissen Bereichen sogar eigenständig Entscheidungen zu treffen.
Von „Conversational Agents“ bis hin zu intelligenten Plattformen, die in der Lage sind, Tausende von Datenpunkten zu analysieren, da liegt die Frage nahe:
Kann die Künstliche Intelligenz eines Tages die Immobilienverwaltung vollständig ersetzen?
Und vor allem: Was bedeutet dieser Wandel für Immobilienprofis, Mieterinnen und Mieter, Hauswart:innen, Dienstleistungsanbieter und Eigentümer:innen?
Der Aufstieg intelligenter Agenten
In den vergangenen Jahren hat die Künstliche Intelligenz einen entscheidenden Entwicklungsschritt vollzogen. Mit dem Aufkommen sogenannter Large Language Models (LLMs) (Sprachassistenten oder Chatbots vom Typ ChatGPT) wurde der Einsatz von KI in komplexen Aufgabenbereichen demokratisiert, die zuvor ausschliesslich menschlicher Expertise vorbehalten waren.
Diese „KI-Agenten“ sind heute in der Lage, Anfragen zu verstehen, präzise zu beantworten, eigenständig Aktionen auszulösen und sich kontinuierlich weiterzuentwickeln. In zahlreichen Branchen sind sie bereits fest in Geschäftsprozesse integriert, steigern die Produktivität und reduzieren menschliche Fehler.
Auch die Immobilienbranche bleibt von dieser Entwicklung nicht unberührt – im Gegenteil: Sie bietet besonders fruchtbaren Boden für den Einsatz solcher Technologien. Der Sektor ist datenreich, geprägt von zahlreichen wiederkehrenden Prozessen und zeichnet sich durch eine intensive menschliche Interaktion aus.
Zahlreiche Anwendungsfälle zeichnen sich bereits ab. Hier einige konkrete Beispiele:
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Automatisierte Bearbeitung von Anliegen:
Die KI analysiert die Problembeschreibung eines Mieters (z. B. „Wasserleck im Badezimmer“), erkennt automatisch die Art des Problems, schlägt einen passenden Dienstleister vor und kann sogar direkt einen Termin im Kalender des Hauswarts eintragen. -
Predictive Analytics für Mietpreise und Leerstände:
Durch die Verknüpfung historischer Daten, aktueller Markttrends und standortspezifischer Informationen können bestimmte KI-gestützte Tools den optimalen Mietpreis ermitteln oder sogar frühzeitig einen bevorstehenden Mieterwechsel prognostizieren. -
Conversational Agents für Mieter:innen:
Über Messaging-Interfaces beantworten Chatbots häufig gestellte Fragen, informieren über den aktuellen Bearbeitungsstand eines Anliegens oder stellen automatisch relevante Dokumente zur Verfügung. -
Automatische Erkennung und Klassifizierung von Dokumenten:
Verwaltungen können mithilfe von KI den Umgang mit Rechnungen, Verträgen oder Bescheinigungen automatisieren.
Doch bei allem technologischen „Wow-Effekt“ ist eine gewisse Vorsicht geboten. Nicht alle Anwendungsfälle sind im Hinblick auf technologische Reife, tatsächlichen Mehrwert oder operative Umsetzbarkeit gleichwertig. Es braucht ein klares Augenmass: Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz ist nur dann sinnvoll, wenn er in einem kontrollierten Rahmen erfolgt und sich an den realen Bedürfnissen der Praxis orientiert.
Welche Auswirkungen hat das auf Prozesse und den Menschen?
So leistungsfähig sie auch sind, funktionieren sie nicht im luftleeren Raum. Ihre Integration verändert die internen Abläufe von Immobilienverwaltungen grundlegend und führt zu einer Neudefinition der Rollen und Aufgaben der Mitarbeitenden.
Einerseits schafft die Automatisierung Freiräume, indem sie repetitive und wenig wertschöpfende Aufgaben wie Datenerfassung, Mahnwesen oder die Bearbeitung von E-Mails übernimmt. So können sich Immobilienverwalter:innen verstärkt auf das konzentrieren, was den Kern ihres Berufs ausmacht: das Management komplexer Situationen, die Vermittlung in Konfliktfällen sowie die strategische Beratung von Eigentümer:innen.
Andererseits erfordert die Einführung von Künstlicher Intelligenz eine gezielte Weiterentwicklung der Kompetenzen. Mitarbeitende müssen verstehen, wie die Tools funktionieren, sie überwachen und bei Bedarf korrigieren können und gleichzeitig ihre Interaktionen mit anderen Anspruchsgruppen neu gestalten.
Darüber hinaus beschränkt sich der Einfluss nicht auf die Immobilienverwaltungen selbst. Vielmehr sind alle Akteure des Immobilienökosystems betroffen:
- Mieter:innen erwarten heute mehr Reaktionsschnelligkeit und Transparenz. Eine sinnvoll integrierte KI ermöglicht es, Anfragen sofort zu beantworten, Informationen in Echtzeit bereitzustellen und den gesamten Mietprozess deutlich zu vereinfachen.
- Hauswart:innen und Dienstleistungsanbieter profitieren von besser geplanten Einsätzen, klarer übermittelten Informationen und einer höheren Wertschätzung ihrer Arbeit durch effizientere Koordination und Kommunikation.
- Eigentümer:innen erhalten eine transparentere Übersicht über ihr Portfolio, eine lückenlosere Nachverfolgung von Anliegen sowie datenbasierte Empfehlungen, um die Bewirtschaftung ihrer Liegenschaften gezielt zu optimieren.
Diese Vorteile setzen jedoch eine durchdachte Umsetzung voraus – eine, bei der Künstliche Intelligenz den Menschen ergänzt, ohne ihn zu entmenschlichen.
Und wie steht es um den Datenschutz?
Der zunehmende Einsatz von Künstlicher Intelligenz im Immobiliensektor wirft selbstverständlich Fragen zum Schutz personenbezogener Daten auf. In der Schweiz stellt das neue Bundesgesetz über den Datenschutz (nDSG), das im September 2023 in Kraft getreten ist, hohe Anforderungen an Transparenz, Sicherheit und Zweckbindung der Datenverarbeitung.
Immobilienverwaltungen, die mit sensiblen Informationen arbeiten, wie Kontaktdaten von Mieter:innen, finanzielle Verhältnisse oder Vorfälle aus der Vergangenheit, müssen sicherstellen, dass KI-Systeme diese gesetzlichen Vorgaben vollumfänglich einhalten. Dazu gehört insbesondere die Umsetzung technischer Sicherheitsmassnahmen, die klare Information der betroffenen Personen und die Durchführung einer Datenschutz-Folgenabschätzung.
Unkontrolliert eingesetzte KI kann zudem das Risiko von Verzerrungen (Bias) oder Intransparenz bei automatisierten Prozessen erhöhen. Umso wichtiger ist es, rechtliche und ethische Aspekte bereits in der Konzeption KI-gestützter Abläufe mitzudenken und gezielt zu integrieren.
Eine Transformation, kein Ersatz
Wird die Künstliche Intelligenz also die Immobilienverwaltung ersetzen?
Nein. Zumindest nicht in ihrer heutigen Form und wahrscheinlich auch nie vollständig. Doch sie verändert die Immobilienverwaltung grundlegend und unumkehrbar.
Der Beruf der Immobilienverwalter:in lebt von Ausgewogenheit – zwischen operativer Effizienz und menschlicher Zuwendung, zwischen gesetzlichen Vorgaben und gesundem Menschenverstand, zwischen datenbasierter Analyse und Intuition. Künstliche Intelligenz kann dabei ein starker Verbündeter werden, ein vertrauenswürdiger Co-Pilot. Doch sie wird weder Empathie ersetzen, noch die Fähigkeit, einen Nachbarschaftskonflikt zu lösen, noch das kontextuelle Feingefühl einer erfahrenen Fachperson.
Gleichzeitig zwingt sie die Immobilienverwaltungen dazu, sich neu zu erfinden. Die Verwaltung von morgen wird digitaler, proaktiver und stärker an den Erwartungen ihrer Kund:innen ausgerichtet sein. Sie wird Künstliche Intelligenz gezielt nutzen, um an Effizienz zu gewinnen, ohne dabei ihre menschliche Komponente, ihre lokale Verankerung und ihre Fähigkeit zur Beziehungsarbeit aus den Augen zu verlieren.
Der technologische Fortschritt markiert nicht das Ende der Immobilienverwaltung – vielmehr weist es ihr einen neuen Weg. Mehr denn je haben Verwaltungen heute die Chance, sich als strategische, vernetzte, aufmerksam agierende und innovative Akteure zu positionieren.
Die Frage lautet daher nicht: „Wird die KI die Immobilienverwaltung ersetzen?“, sondern vielmehr:
„Wie kann sich die Immobilienverwaltung mithilfe von Künstlicher Intelligenz weiterentwickeln, um den Herausforderungen von morgen gerecht zu werden?“